Hagelkorn

Aquillo, das Hagelkörnchen

Ein heftiges Gewitter mit Blitz und Donner braute sich über den Bergen
 und dem dichten Wald zusammen. Es schüttete tonnenweise Wasser
 und Hagelkörner aus den dunklen Wolken. Und weil die stärkeren und
 größeren Hagelkörner unser kleines, ängstliches Körnchen - wir
 wollen es Aquillo nennen - immer wieder bedrängten und
 anrempelten, beschloss es, sich einfach abzusondern und seinen
 eigenen Weg zu gehen. Es wollte nämlich – sollte es überleben – ein
 ruhiges, beschauliches Dasein führen. Erst hielt es sich kurz an einem
 Nadelbaum fest, ehe es sich mutig in eine ungewisse Tiefe stürzte.
 Zum Glück landete es in einem ausgetrockneten Bachbett, in dem die
 Reise hurtig voranging. Es musste nur geschickt den spitzen Steinen
 ausweichen, um sich nicht zu verletzen.
Doch plötzlich sah es sich einem unüberwindbaren Hindernis
gegenüber. Ein Moospolster auf einem Stein behinderte seinen Weg.
Jetzt ist die Reise zu Ende, dachte es.
Und siehe da, Aquillo hörte ein leises Gurgeln. Aus einer kleinen
 Quelle floss ein schmales Bächlein. Das Gewitter hatte die Quelle
 neuerlich in Schwung gebracht. Der frische Wasserstrahl schubste
 unser Körnchen wieder auf den richtigen Weg. Von nun an ging es flott
bergab, vorbei an vielen kleinen, bunten Blümchen. Es begegnete
 einem Feuersalamander, sah von Ferne ein Reh und sprang mutig
über eine quer liegende Wurzel. In einem ausgehöhlten Stein verweilte
 es ein wenig, denn es war schon müde von der anstrengenden Reise.
Doch schwups, nach kurzer Zeit ging’s weiter. Langsam kam das Ende
des Bachbettes in Sicht, und Aquillo schien nun seinem Ziel ganz
nahe. Und dieses Ziel war ein kleiner, verträumter Bergsee. Die Natur
war zur Ruhe gekommen, und der blaue Himmel spiegelte sich im
 See. Unser Hagelkörnchen hatte nur mehr wenige Meter
zurückzulegen, ehe es in das ruhige Wasser gleiten konnte. Das
 Wasser war zwar kalt, denn der See lag in großer Höhe, doch lange
konnte das Körnchen seine Form aus Eis nicht behalten.
Es wurde ganz langsam zu einem Tropfen, der sich mit den unendlich
vielen anderen des Sees vereinte. Aquillo hatte nun die Harmonie
 erreicht, die es sich wünschte. Es spielte mit den Wasserpflanzen,
 schwamm mit den kleinen Fischlein um die Wette und manchmal,
 wenn die Sonne schien, machte es einen kurzen Ausflug auf dem
 Rücken eines Frosches an das Ufer. Denn die Wärme tat gut. Aquillo
 kehrte aber auch gerne wieder in den See zurück, in den sich kein
 Mensch verirrte, und der so bleiben durfte, wie ihn die Natur
 geschaffen hatte.