Dunkelgrün und Hellgrün

Dunkelgrün und Hellgrün

Am Rande der Großstadt stand das Haus feiner Leute, umgeben
 von einem herrlichen Garten. Im größten Raum des Hauses war
 ein Wintergarten angelegt. Viele heimische und exotische
 Pflanzen erstrahlten im hellen Licht, das durch eine breite
Fensterfront in den Raum fiel.
Und unter all den vielen Grünpflanzen befanden sich zwei
 unscheinbare Topfpflanzen, die eine groß und schlank, die
 andere klein und pummelig. Die beiden fühlten sich schon lange
 nicht mehr wohl inmitten der prachtvollen Gewächse und
 beschlossen daher sang-und klanglos zu verschwinden. Im
 nahegelegnen Altenheim würden sich bestimmt zwei Menschen
 über den grünen Lichtblick freuen. Aber es sollte ein
 beschwerlicher Weg dorthin werden.
Erst einmal mußten Dunkelgrün und Hellgrün einen günstigen
 Moment abwarten, und als dann am Morgen die Fenster zum
 Lüften geöffnet wurden, befreiten sie sich aus der Enge ihrer
 Lage. Sie kletterten auf das Fenstersims, ließen sich in den
 Rasen fallen und versuchten wegzulaufen. Von dem Geräusch
 wurde der Hund des Hauses angelockt, der nicht nur zu bellen,
 sondern auch gleich zu schnüffeln begann. Mit einem Satz
 konnten sich die beiden Pflanzen gerade noch hinter den
 Komposthaufen in der Ecke des Gartens retten. Die vielen
 Gerüche, die von dort ausgingen, waren schließlich ihre Rettung,
 denn der Hund war davon dermaßen verstört, daß er das
 Interesse verlor und umkehrte.
Die beiden Grünpflanzen schlichen nun den Zaun entlang, bis
 sie eine Stelle gefunden hatten, um in die Freiheit zu schlüpfen.
 Die große, dunkelgrüne tat sich dabei etwas leichter, aber auch
 die kleinere, hellgrüne konnte sich schließlich durch den engen
 Zaun zwängen.
Plötzlich spürten sie etwas, das ein für sie völlig neues Gefühl
 war. Ein ausgiebiger Regenguß ging auf die Wiese, die sie
 gerade überquerten, nieder. Die zwei Topfpflanzen breiteten ihre
 Blätter aus, ließen sich von den kühlen Tropfen erfrischen und
 saugten das fremde Naß in ihre Erde ein. Es war so wohltuend,
 daß sie die Schafe übersahen, die sich gerade an sie
 heranmachen wollten, weil sie die beiden für ganz besondere
 Leckerbissen hielten. Für eine Flucht war es zu spät, und so
 konnten die beiden Pflanzen nur hoffen, daß ihr grünes Laub
 ungenießbar war. Ein paar Blätter, die die Schafe abzupften,
 mußten sie allerdings schon lassen, doch waren diese
 tatsächlich nicht nach dem Geschmack der Tiere. Und
 Dunkelgrün und Hellgrün konnten nach ein paar Augenblicken
 des Schreckens ihren Weg fortsetzen.