Ein Paar Socken

Ein Paar Socken

Es waren nicht irgendwelche Socken. Es waren rote Socken, große, rote Männersocken. Und sie waren Ladenhüter. Tag für Tag - und natürlich auch nachts – lagen sie zwischen ordentlich geschlichteten grauen, braunen und blauen Socken. Ja sogar weiße waren darunter. Für alle Farben fanden sich Käufer. Nur die roten blieben in der Lade.
Eines Tages, als die Verkäuferin vergaß, vor Geschäftsschluss die Lade in das Regal zurückzustellen, beschlossen die beiden, ihrem trostlosen Dasein ein Ende zu bereiten. Als es finster war, kletterten sie über den Rand der Lade, befreiten sich aus ihrer Zellophanhülle und sprangen auf den Boden. Der Sprung konnte ihnen nichts anhaben, sie waren ja aus Wolle.
Unten angekommen, mussten sie sich erst einmal orientieren und einen Ausgang finden. Es war finster und ganz still im Raum, nur die alte Pendeluhr tickte unverdrossen vor sich hin. Die Eingangstür war fest verschlossen. Auch die Fenster wurde vorsorglich zugemacht, um nicht Einbrecher anzulocken.
Lediglich im Abstellraum, der in Richtung Hof lag, war das kleine Fenster nur angelehnt.
Über Schachteln und Berge von Verpackungsmaterial gelangten die zwei Socken schließlich auf das Fensterbrett und zwängten sich durch den Spalt ins Freie. Es war kalt und finster, nur der Mond erhellte ihren Weg in die Freiheit. Mit einem Satz sprangen sie, fest aneinandergeklammert, auf den Asphalt. Es war eine harte Landung, die nur durch das Material, aus dem sie gestrickt waren, gemildert wurde.
Sie tasteten sich an der Wand entlang, bis sie zu dem großen Holztor kamen, das den Hof von der endgültigen Freiheit trennte. Sie machten sich ganz flach und rutschten unter dem Tor durch auf den Gehsteig.
Da waren sie nun, die beiden roten Socken – in Freiheit. Aber was tun mit dieser Freiheit? Schon ziemlich erschöpft von den Anstrengungen, schafften sie gerade noch den kurzen Weg in den gegenüberliegenden Park, sprangen mit letzter Kraft auf eine Bank und schliefen, fest aneinandergekuschelt, ein. Die Entscheidung über ihr weiteres Schicksal wollten sie dann am nächsten Tag treffen.
Als sie am Morgen, durchnässt vom nächtlichen Nebel, erwachten, lagen sie jedoch nicht mehr auf der Parkbank, sondern auf einem Berg von Kinderkleidung, karierten Hemden und vielen anderen, bunten Socken. Die Freiheit hatten sie sich anders vorgestellt, spätestens dann, als sie mit all den anderen Sachen in ein finsteres Loch gesteckt wurden.

-2-

Die beiden Socken bekamen es mit der Angst zu tun, als sich dieses Loch plötzlich zu drehen begann. Als es dann auch noch mit kaltem Wasser gefüllt wurde, das sich nur langsam erwärmte, und Schaum die Sicht durch das Bullauge nach außen verhüllte, sahen sie ihr nahendes Ende gekommen. Und so ging’s dahin, einmal in die eine Richtung, gleich drauf in die andere. Es wurde ihnen schwindlig, und sie kamen erst wieder zu sich, als sie von zwei Händen zurechtgebeutelt und zum Trocknen auf einen Strick gehängt wurden. Dort betrachteten sie einander vorsichtig und stellten fest, dass alle Schmutzflecken, die sie sich auf ihrem abenteuerlichen Ausbruch zugefügt hatten, verschwunden waren.
Und nun warteten sie geduldig, was das Schicksal mit ihnen vorhatte, denn ein weiterer Ausbruch war nicht möglich, zwei Wäscheklammern hielten sie am Strick fest. So dämmerten sie eine Weile dahin. Und als sie vollkommen trocken waren, wurden sie vom Strick genommen, zurechtgezupft und in die Küche getragen. Dort lagen Mandarinen, Nüsse und Schokolade bereit, die abwechselnd in die beiden Socken geschoben wurden. Selbst ein Geldschein durfte nicht fehlen. Als sie randvoll mit köstlichen Dingen gefüllt waren, wurden sie vor eine Tür gestellt, wo sie die Nacht verbrachten. Als sie am nächsten Morgen durch fröhliches Kinderlachen geweckt wurden, und zwei kleine Mädchen die beiden roten Socken mit ihrem duftenden Inhalt freudig an sich drückten, war alles klar. Es war Nikolo, und vergessen war mit einem Schlag die Trostlosigkeit ihres bisherigen Daseins.