Kaktus

Ganz unscheinbar steh ich am Fensterbrett,
bin ein grünes Gebilde, schlicht und adrett.
Nur zufällig, wenn jemand grad denkt daran,
bekomm etwas Wasser ich so dann und wann.
Doch als Kaktus bin ich leider nicht attraktiv –
da lief bei der Schönheitsverteilung was schief.
Ein trostloses Leben so im Allgemeinen;
es macht depressiv, und es ist zum Weinen.
Aus jedem Stachel tropft mir eine Träne,
die auf die Erde fällt, in der ich lehne.
Doch siehe da nach wenigen Tagen
fühl ich mich besser – ich kann nicht klagen.
Aus jedem Stachel sprießt nun eine Blüte
von herrlichem Wuchs und tiefroter Güte.
Da plötzlich werde ich wieder beachtet,
voll Freude und mit Bewundrung betrachtet.
Ich hab es tatsächlich mit eigener Kraft
vom Fenster in die Mitte des Zimmers geschafft
auf den Tisch, für alle das Zentrum im Raum –
wohl die Erfüllung eines Kaktus‘ Traum.
Doch bald wird auch dieses Blühen vergehn,
dann will mich wieder keiner mehr sehn.
Ich werd danach achtlos ins Winkerl gestellt,
denn wie bei den Menschen, die Schönheit nur zählt.
Ich gebe nicht auf, sammle in mir die Kraft,
bis mein Kaktuskörper erneut Blüten schafft.


© irmgard czerny